Untrue
- Berlin Verlag
- Erschienen: November 2019
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Nina Frey (Übersetzerin)
Warum fast alles, was wir über weibliche Untreue zu wissen glauben, unwahr ist
Dass Frauen in längeren Beziehungen lustlos werden, das ist so ein stehender Glaubenssatz. Ob in Männerrunden oder an Frauenabenden, in Magazinen und auch in der Wissenschaft und Psychologie und Medizin geht es gerne mal darum: Dass es so ist und wie man es vielleicht ändern kann, ob mit Sextoys, Viagra für die Frau, Fußmassagen oder dass man – frau – „dabei“ eben an den heißen Heizungsinstallateur von letzter Woche denken soll. Hauptsache es gibt Sex, damit ihr eigener Mann keinen Grund hat, fremdzugehen. Frauen wollen Kinder und Sicherheit und Männer eben immerzu Sex. Basta. Alle Tatsachen sprechen allerdings dafür, erst mal nach den Gründen zu suchen – warum Frauen in längeren Beziehungen keine Lust auf Sex mehr haben. Lust auf Sex haben sie nämlich sehr wohl – und werden unglücklich oder gehen scharenweise fremd. „Ich will Sex die ganze Nacht, aber nicht mit meinem Mann“, so formuliert es eine der Frauen, die die Autorin Wednesday Martin für ihr Buch interviewt hat. Statt nach Lösungen für die weibliche Unlust zu suchen, sucht Martin nach den Gründen für die weibliche Untreue, und kommt immer wieder zu dem Schluss, dass beides zusammenhängt.
Ein Sachbuch wie ein Reiseroman
„Untrue" ist eine Art wissenschaftlicher Reisereportage, in der Martin ausführlich, detailreich und sehr persönlich über alles schreibt, was sie rund ums Thema weiß, denkt, erlebt, liest, erfährt: Sie trifft Forscherinnen und geht in Sexclubs, besucht Tagungen zu Polyamorie und beobachtet Bonobos im Zoo, führt viele, viele Gespräche und macht selbst viele neue Erfahrungen. Auch was ihr eigener Mann zu ihren Recherchen so denkt, ist immer wieder Thema. Sie schreibt lebendig, persönlich, unterhaltsam und weil sie auch leibhaftige Sexszenen erlebt und beschreibt und zum Teil aus der Literatur passende Beispiele zitiert, ist das Buch nicht nur eine interessante und faktenreiche Lektüre, sondern auch in erotischer Weise anregend.
Menschund Monogamie passen nicht zusammen
Am Ende und auch zwischendurch steht die Erkenntnis, dass Frauen bei weitem eben nicht das lustlose Geschlecht sind, weder evolutionär, kulturell und aller Erfahrung nach auch nicht. Sondern ständig und immer und gerne und mit allem und jedem Sex haben möchten. Beide Geschlechter, alle Geschlechter, passen weit besser zueinander als immer postuliert: wir alle mögen Sex, viel Sex und viel Abwechslung. Was das für unsere Gesellschaft bedeutet, die auf Treue und Monogamie fußt, zumindest theoretisch, ist natürlich ein Problem. Je nach Zeitgeist und Leitkultur, Menschentyp und Lebenslage sieht die Lösung dafür ganz unterschiedlich aus. Was aber jede Frau aus jedem Buch mitnehmen kann, ist: Dass sehr wohl alles mit ihr in Ordnung ist, wenn sie „Sex die ganze Nacht, aber nicht mit ihrem Mann“ will. Und auch mit ihrem Mann ist alles in Ordnung. Es liegt einfach nicht in der menschlichen Natur, sich von einem einzigen anderen Menschen abhängig zu machen, weder wirtschaftlich noch sexuell noch sozial. In der menschlichen Natur liegt es, sich mit vielen zusammenzutun, sich gegenseitig zu unterstützen – und zu genießen.
Fazit
Weibliche Unlust und weibliche Untreue sind zwei Seiten einer Medaille: Erst langweilt die Frau sich mit dem Mann ihres Lebens, dann sucht sie sich Abwechslung. Wie die Journalistin Wednesday Martin zu dieser Erkenntnis kommt und was sie im Laufe der Recherche dazu alles erfährt, sieht und erlebt, welche Schlüsse sie daraus zieht, hat sie in diesem Buch unglaublich unterhaltsam, erkenntnisreich und sehr persönlich aufgeschrieben. Ein tolles Buch, nicht nur für Frauen.
Wednesday Martin, Berlin Verlag
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