Ein Amerikaner in Paris
Der Protagonist und Ich-Erzähler Joey ist das Alter Ego vom Autor Miller dem angeblich "obszönsten Schriftstellers der Weltliteratur". Henry Miller, 1891 in New York in einfachen Verhältnissen geboren, war schon in seiner Jugendzeit ein Rebell und seine damalige Frau June ermunterte ihn zum Schreiben.1930 ging er für neun Jahre nach Paris, wo er seinen ersten Roman "Wendekreis des Krebses" schrieb und veröffentlichen konnte. Nach einem kleinen Abstecher nach Griechenland kehrte Miller wegen des Zweiten Weltkrieges an die Westküste der USA zurück, wo er weiterschrieb. Auf der Suche nach einem unverfälschten Leben ging es Miller in seinem Leben wie in seinen Romanen darum, das bürgerliche Wertesystem, das er für verlogen hielt, durch einen radikalen Individualismus zu ersetzen. Er starb 1980 in Los Angeles.
„Stille Tage in Clichy“ wurde erstmals 1956 veröffentlicht, vielfach aufgelegt, verfilmt und ist ein Klassiker.
Ein Klassiker
Joey lebt in Paris, versucht zu schreiben und nimmt mit seinem Kumpel Carl an erotischen Abenteuern alles mit. Dabei scheint er nicht wählerisch zu sein. Joey kann an keiner Prostituierten vorbeigehen und ist aber eigentlich in jemanden anders verliebt. Es ist das Mädchen Nys, das er in einem Café trifft. Sie ist nicht sehr intelligent und sucht einen reichen Mann, an dessen Seite sie ihr ausschweifendes Leben ausleben kann. Pech für Joey.
Er ist nur nicht nicht reich, bei ihm ist das Geld notorisch knapp. Witzig an dem Roman ist, dass er und seine Kumpels immer all den Huren, die sie treffen, Großes versprechen - aber niemals zahlen können. Und dann jedes Mal eine dramatische Show aufführen, um es zu vertuschen ...
Die Leichtigkeit des Seins, aber nichts für prüde Moralisten
Doch sei es, dass Joey sich dem Mädchen Nys nähert, das er im Café trifft, sei es die etwas abgehalfterte Mara-Marignan, die sich auf dem Champs-Elysées nach ihm umdreht: Joeys Abenteuer sind von erstaunlicher Naivität und Freude. Und das immer mit einem Augenzwinkern: Ganz gleich, ob eine Mutter unter dem Gekreisch ihrer Kinder entblößt wird oder ob Joey mit zwei Prostituierten in der Badewanne Brot und Wein zu sich nimmt, fast immer sind seine Handlungen von Gelächter begleitet, gehen unter in wilder Ausgelassenheit. Etwas kritisch kann man die Szene sehen, wo Carl sich eine Minderjährige mit nach Hause nimmt, die wahrscheinlich einen sehr niedrigen IQ, aber dafür ein unermessliches sexuelles Verlangen hat. Auch damals hatten die beiden Protagonisten schon Angst vor polizeilicher Verfolgung.
Jahrelang musste Miller auf die Veröffentlichung von Stille Tage in Clichy warten
Die Episoden spielen im Paris der 30er Jahre – also vor dem zweiten Weltkrieg – wo Paris noch eine luftige Leichtigkeit ausstrahlte. Alles hat etwas melancholisch Morbides, und das macht es trotz der pornografischen Darstellung so schön. Carl und Joey machen allerdings auch zwischendurch mal einen Abstecher nach Luxemburg, wo schon mit „judenfreien“ Cafés geworben wird. Da deutet sich schon an, auf was die Zeichen der Zeit auch im geliebten Paris stehen.
Fazit
Henry Millers‘ Alter Ego in Paris: Das ist morbide und poetische Erotik von einem großen Schriftsteller, die trotz oder wegen der derben Sprache viele nonkonformistische Sehnsüchte weckt. Das kann in Bezug auf sexuelle Abenteuer oder einfach die Sehnsucht nach etwas „Unbestimmten “sein. Zugleich beschwört Henry Miller das Paris der dreißiger Jahre und seine Atmosphäre der Bohemiens dieser Zeit. Ein echter Klassiker, aber immer wieder erfrischend, und sehr schön zu lesen.
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