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Scharfstellung: Die neue sexuelle Revolution

Scharfstellung: Die neue sexuelle Revolution
Scharfstellung: Die neue sexuelle Revolution
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Sigrid Tinz
6101

Erotik-Couch Rezension vonAug 2018

Story

Ein Sachbuch über die Lust und Liebe in der heutigen Zeit der Smartphones und Hightech-Sextoys, das mal mehr und mal weniger scharf hinschaut.

Erotik-Faktor

Scharfstellung liest sich nicht scharf und macht nicht scharf, so ist es auch nicht gedacht.

Unser Sexleben 2.0

Scharfstellungen - der Titel ist zugespitzt und kann und soll vieles bedeuten. Scharf sein, dauerscharf, Dauersex durch Internet und Smartphones; oder scharf gestellt wie genau hingeguckt und scharf gesprochen: Klartext zum Thema Sex, wie er heute ist.

„Seit Jahren beobachte ich eine Verschiebung sexueller Normen: Voyeurismus, Exhibitionismus, Fetische und BDSM, denen früher ein Krankheitswert zugeordnet wurde, sind heute in weiten Teilen der Bevölkerung fest verankert“, schreibt die Autorin im Vorwort. „Für jede denkbare Vorliebe gibt es Portale und Apps, über die sich unverbindlich sexuelle Kontakte knüpfen lassen. Selbst für die ausgefallenste Spielarten finden sich über das World Wide Web im Handumdrehen Gleichgesinnte, mit denen man sich verbal und bei Gefallen auch nonverbal austauschen kann. Unsere Lust und unsere Triebe verabschieden sich immer mehr aus verbindlichen Partnerschaften und führen ein Eigenleben.“ Nicht ohne weiter auszuführen, dass es mit der partnerschaftlichen Treue auch früher selten hingehauen hat, aber meist im Verborgenen und mit großen Schuldgefühlen ausgelebt wurde. Heute gibt es so viele Beziehungsmodelle und es geht insgesamt einfacher: übers Internet. Das ließ sowohl den Pornokonsum unvorstellbar einfach, diskret, preiswert und unkompliziert werden. Als auch den Erwerb von schicken und immer schickeren besser als jedes echte Körperteil eines Gegenübers funktionierende Sextoys.

Schöne neue Sex-Welt ...

Eigentlich schön. Verglichen damit, wie verklemmt und züchtig es lange war und wie schuldig und verrucht man sich für alles zu fühlen hatte, was von der Missionarsstellung unter Verheirarteten abwich – wenn man denn mal rausgefunden hatte, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Als langjährige Sexual- und Paartherapeutin hat Heike Melzer zu diesem Thema jede Menge Fachwissen, Erfahrung und Beispiele. Wie bei allem anderen potentiellen Suchtmitteln – Alkohol oder Süßigkeiten, Sport oder Games – ist es auch beim Sex eine Frage der Dosis, des Auswahl und des Umgangs.

… in der viele leiden

In Heike Melzers Praxis kamen und kommen allerdings keine Patienten, die all diese Möglichkeiten genießen und mit ihnen umgehen und sie in ihr Leben integrieren können; in ihr Sexleben und auch in ihr Liebesleben. Sondern die anderen. Die, die leiden. Darunter, dass sie kaum genießen können, was sie haben, weil auf der anderen Seite das Gras immer grüner ist. Männer, die abends, weil ihre Frau müde ist und früh ins Bett geht, vor dem PC Pornos konsumieren. Frauen, die abends, weil ihr Mann mal wieder noch alles Mögliche am PC zu erledigen hat, früh ins Bett gehen und sich mit ihrem raffiniert pulsierendem Hightech-Vibrator Höhepunkte fabrizieren, die ihre Partner auch in leidenschaftlichen Höchstzeiten so perfekt und punktgenau nie hinbekommen haben. Und selbst wenn sie mal wollten, geht’s kaum mehr.

Zu ihr kommen Menschen, die keine Kontrolle mehr haben über die ständig verfügbaren verführerischen Reize. Die ihre Freizeit, ihre Beziehung und manchmal auch ihren Vermögen, ihren Job, ihren Ruf und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.

All das beschreibt Heike Melzer, wie sie es als Therapeutin erlebt. Ohne zu werten, ob es besser, schlechter oder früher anders war. Und was behandlungsbedürftig ist, entscheidet allein der Leidensdruck der Betroffenen.

An diesen Stellen ist das Buch gut. Sehr gut. Scharf.

An anderen Stellen zieht sie aus ihrer Empirie Schlüsse, die weder mit Zahlen noch sonst wie belegt sind. Dafür zusätzlich vermixt mit vermuteten Gründen – Globalisierung, Inernet-Pornografie, Online-Dating, Steinzeitgene, Pharmaindustrie – und anderen tausendfach gehörten Allgemeinplätzen. Stimmt bestimmt alles auch irgendwie, aber gemessen am Titel sind es ärgerlich unscharfe Allgemeinplätze. Die Jugend von heute guckt „zu viel Pornos“, die „sexualisierte Gesellschaft“ mit Internetsex ist ein „Massenversuch“ und keiner weiß "wo die Reise hingeht". Unter jungen Männern breiten sich Potenzstörungen, partnerbezogene Lustlosigkeit und Orgasmusverzögerungen aus. Vorstellbar. Interessant wäre gewesen: In welcher Größenordnung? Sind es dann gleichzeitig weniger Patienten, die darunter leiden, vorzeitig zu kommen? Oder weniger Frauen möglicherweise? Sind sie es ja bisher gewesen, die ein Abo auf Orgasmus- und Libidostörungen hatten.

Interessant, aber weniger scharf als möglich

All diese Fragen werden nicht beantwortet. Und auch Tipps fürs eigene Leben sind ähnlich unscharf: Lassen Sie mal das Smartphone aus, das ist gut für die Beziehung. Und mal zwei Wochen keine Pornos und keine Höchstleistungs-Sextoys, das bringt Nerven und Hormone wieder ins Lot und dann klappts auch mit einem echten Menschen wieder. Allerdings versteht sich das Buch auch nicht explizit als Ratgeber, sondern als Sachbuch zum Thema. Wer wirklich Leidensdruck verspürt, braucht für sich und eventuell auch seine Partnerschaft ein ganz persönliche Beratung.

Fazit

Kein Ratgeber zur Selbsthilfe, sondern ein Sachbuch zum Thema Sex, wie er heute ist. Interessante Inhalte in viel Geplauder und viel Allgemeinplätze verpackt.

Scharfstellung: Die neue sexuelle Revolution

Henry Miller, Klett-Cotta

Scharfstellung: Die neue sexuelle Revolution

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