Der Fischer und die feine Frau
Salz auf unserer Haut
Salz auf unserer Haut ist ein 30 Jahre alter Roman, ein Klassiker, verfilmt außerdem. Auch wenn man die Details nicht (mehr) kennt, den Titel schon und auch worum es geht, weiß man: um eine Pariser Intellektuelle und einen handfesten Fischer aus der Bretagen. Und um viel Sex.
Liest man das Buch, geht es um viel mehr.
George, die Pariser Intellektuelle, und Gauvin, der bretonische Fischer, kennen sich von jung an, weil Georges Familie in Gauvins Dorf in der Bretagne regelmäßig die Ferien verbringt. Eines Tages passiert es, sie treffen sich abends am Strand und haben leidenschaftlichen, von beiden als besonders erlebten Sex. Die Frage ist natürlich, ob er wirklich so besonders ist. Oder ob sie ihn nur so erleben, weil sie sich jeweils erlauben, was im jeweiligen eigentlichen Leben nicht möglich zu sein scheint. Er wird seine brave biedere Verlobte nicht so entfesselt durchvögeln, sie sich ihren schmalbrüstigen alles hinterfragenden Intelektuellenfreunden nicht so voll und ganz hingeben. Und wenn, dann würden sie vermutlich nicht zugreifen. Sondern hinterfragen, diskutieren, reflektieren.
Ein ONS fürs Leben
Auch Gauvin ist die Sache hinterher sehr unangenehm. Er entschuldigt sich, es soll nie wieder vorkommen. Schließlich ist er ja mit einer anderen verlobt. Eigentlich entschuldigt er sich mehr für sich selbst und vor sich selbst, denn seine Moral verbietet „so etwas“. George würde gerne weitermachen, auch wenn ihre „innere Anstandsdame“wie sie es nennt, sie als Schlampe tituliert. Weitermachen, ja, aber nicht als Mann und Frau. Gauvin als leidenschaftliche Affäre in der Sommerfrische und ansonsten würde sie ihr Pariser Leben weiterführen, mit ihren intellektuellen, studierten, erfolgreichen Freunden. Da passt dieser Naturbursche nicht hinein, der außer Arbeit wenig hat im Leben und schon gar keine Lust auf verkopfte Gespräche über Kultur, Politik und alles mögliche. Und Fischers Frau in der Bretagne will sie auch nicht sein, so göttlich er vögelt, so toll seine Muskeln und so blau seine Augen auch sind. Seinen Heiratsantrag lehnt sie ab.
Lange Jahre sehen sie sich nicht, beide haben andere Partner, bekommen Kinder.
Dann treffen sie sich nach mehr als einem Jahrzehnt wieder, erleben die Anziehung neu. Seit diesem Tag verabreden sie sich regelmäßig, alle paar Monate, fast nie bei ihr in Paris, nie bei ihm in der Bretagne. Sondern in Kanada, auf den Seychellen. Ihr Leben als Dozentin und seins als Hochseefischer machen es möglich. Und die Liebe und den Sex zusätzlich reizvoll: Schöne Hotels in schönen Landschaften sind sinnlicher als Samstags im immergleichen Ehebett gemütlichen Gewohnheitssex zu haben oder mit eine Affäre mit dem Nachbarn. Zwischen den Treffen liegen lange Monate oder auch mal Jahre .
Dass es ein Klassiker ist, merkt man spätestens hier. Denn in diesen Zeiten halten sie den Kontakt per postlagernden Briefen. Wie die Geschichte wohl erzählt werden würde, im WhatsApp-Snapchat-Zeitalter? Hier ein verführerisches Foto zum Aufwachen, ein paar Audios zwischendurch und Gutenachtwünsche mit Küssen und Herzchen garniert.
Eigene Sprache für Sex
Neben der Handlung, den vielen Gedanken zum Leben und Lieben, die sich die Ich-Erzählerin George macht, geht es natürlich auch um Sex. Deswegen treffen sich die beiden und das machen sie im Wesentlichen, wenn sie sich treffen. Die Autorin lässt ihre Protaginistin aber nicht einfach nur vögeln, sondern auch darüber sinnieren, wie man am besten darüber spricht und schreibt. Wie soll man die beteiligten Organe benennen? Lexikalisch, medizinisch, vulgär, poetisch? Eine Mischung aus allem mit einer gewissen persönlichen Note wird es dann: „Bespringen“, das Wort mag sie zum Beispiel nicht, „besteigen schon“, um ein Beispiel zu nennen. Der Versuch es plastisch und ehrlich zu machen ist interessant, vertreibt aber manchmal den eigentlichen Zauber des Bettgeschehens. So sinniert George darüber, warum in erotischen Romanen die Heldinnen immer "unverwüstliche Rohrleitungen" zu haben scheinen, bei ihr aber nach drei Tagen Dauersex alles so geschwollen und empfindlich ist, „dass kein Suppennüdelchen mehr hineinpasst“. Das mag sein, führt aber die Gedanken definitiv weg vom erotischen Geschehen. Zur Frage, welche Form und Größe französische Suppennudeln haben mögen, ob Suppennudel womöglich als Metapher zu verstehen ist oder wieso man überhaupt auf die Idee kommt, dass Suppennudeln und Sex etwas miteinander zu tun haben könnten. Am Abend passt dann natürlich doch auch der eher stattlich als suppennudelig ausgestattete Gauvin wieder hinein.
Mehr Lebensgeschichte als Sexroman
So geht es Jahr für Jahr, die Kinder werden groß, George wechselt den Lebenspartner, die Treffen sind mal schön, mal besonders schön, mal eher angespannt. Dann kommt Gauvins Rente in Sicht und die grundsätzliche Frage, wie es weiter geht. So nicht. Irgendwie? Als Mann und Frau? Aber wie? Und wo?
Die Entscheidung trifft das Leben: Gauvian stirbt mit 57 bei einer Herzoperation.
Fazit
Die letzte Szene dieses Buches ist die Beerdigung von Gauvin, dem Fischer. Und alle denken, die Pariser Dame George weine um den Freund aus der Kindheit. Und sie, die mehrere Männer im Leben hatte, fragt sich, ob Gauvin nicht ihr wirklicher Mann gewesen sei. Ein Mann, mit dem sie zum Beispiel nie Weihnachten verbracht hat. Und trotzdem wird sie das Weihnachten das erst Mal ohne ihn verbringen.Denn es ging in der Beziehung der beiden um viel mehr als um Sex, um sehr viel mehr. Genau wie in diesem Buch.
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