Von heiligen Huren und Männerklischees
Ilan Stephani ist Körpertherapeutin, Bloggerin und Autorin. Zwei Jahre ihres Lebens hat sie auch als Hure gearbeitet. Aus Zufall, aus Neugier auf Erfahrungen jenseits ihrer gutbürgerlichen Herkunft und um Geld zu verdienen. Darüber hat sie ein Buch geschrieben.
Zwei Jahre im Puff
Es ist, das sei ganz von Anfang an all denen gesagt, die heiße Einblicke durchs Schlüsselloch der Bordelltür erwarten, kein Erlebnisbericht im klassischen Sinne. Paula, wie die Autorin sich als Hure nannte, beschreibt zwar viel: das Ambiente, die Freier, ihre Kolleginnen, ihren Puff. All das aber in erster Linie nur als Ausgangspunkt für Gedanken und Erkenntnisse, die diese Erfahrungen bei ihr in Gang gesetzt hat. Zum Beispiel, wie Familie und Freunde darauf reagierten, wenn sie erzählte, dass sie „sowas“ macht. Dass sie einmal von einem Freier vergewaltigt wurde, aber im Durchschnitt interessante und freundliche Männer als Kunden hatte. All das beschreibt sie nie voyeuristisch, sondern mit viel Takt und Menschenfreundlichkeit allen handelnden Personen gegenüber. Viele ihrer Gedanken – auch wenn man sie nicht sofort teilen kann – sind sehr nachdenkenswert. Zum Beispiel sagt sie, „wir sind uns alle so sicher, wie man über die Prostitution zu denken hat, obwohl doch angeblich niemand von uns je damit in Berührung gekommen ist.“ Oder: „Die Erziehung zu einer Tochter aus gutem Hause ist die Erziehung zur guten Hure.“ Beide sollen schön sein und bescheiden, selbstbewusst, aber nicht dreist, erahnen, was der Mann möchte. Und wenn es ihm im Grunde seines Herzens peinlich ist, in den Puff zu gehen, ihm diese unangenehmen Gefühle nehmen. Oder: „Schade, dass immer zu und ausgiebig nur über das Frauenbild der Männer geklagt wird, die für Sex bezahlen – aber was ist mit dem Selbstbild der Männer? Und wo kommt das her?“ Das Böse im Mann sei ja nicht wahr, sondern auch nur eingetrichtert. Denn: „Haben Männer Konsequenzen zu fürchten, wenn sie sich verächtlich und sadistisch äußern? Kaum. Wir sind empört, aber wir entschuldigen sie gleichzeitig damit, dass sie biologisch nicht anders können.“ Aber: „Haben Männer Konsequenzen zu fürchten, wenn sie ihre Freunde umarmen, wenn sie weinen wollen oder gestehen, dass sie das mit dem Sex und den Titten und dem Ficken überbewertet finden und anstrengend? Oh ja. Wir verhöhnen sie. Wir verachten sie dann.“
Männerfreundlich und menschenfreundlich
Das ist das sehr Besondere an diesem Buch: Dass es kein Männerbashing enthält. Außerdem geht es viel um die gesellschaftlichen Begleitumstände wie etwa der Zwangsprostitutiom. Aber auch hier völlig unpauschal und stattdessen von den persönlichen Erfahrungen der Autorin geprägt und sehr differenziert.
Fazit
Ilan Stephanis Bericht aus ihrer Zeit als Hure ist kein lustiges Buch mit heißen Szenen aus der Sexarbeit zum erotischen Genuss, sondern ein sehr persönliche geprägter Einblick in die Arbeit im Puff plus vielen Gedanken zum gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem Thema Prostitution. All das nicht dogmatisch oder reißerisch oder rigide, sondern abwägend und sehr menschenfreundlich.
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