09.2019 Sigrid Tinz im Gespräch mit Katrin Rönicke, Autorin von „Beate Uhse - Ein Leben gegen Tabus“.
Die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Krieg und in der Sexuellen Revolution, die Wende - Beate hat es immer ganz gut verstanden, mitzuhalten.
Erotik-Couch: Der landläufige Eindruck von Beate Uhse ist ja, da hat eine Frau zum Wohle der aufgeklärten lustvollen Sexualität eine Firma gegründet. Nach der Lektüre des Buches ist man sich da nicht mehr so sicher: vielleicht hat sie auch nur eine publicity-trächtige Marktlücke gewählt, um viel Geld zu verdienen? Was war sie denn nun eher, Ihrer Meinung nach: Aufklärerin der Nation oder knallharte Geschäftsfrau?
Katrin Rönicke: Ich glaube sie war ein bisschen von beidem. Nach dem Krieg hat sie einerseits, wie viele andere Frauen auch, dafür Sorge tragen müssen, ihr Kind zu versorgen, also Geld zu verdienen. Sie hat es mit Traumdeutung versucht, ihr Mann Ewe hat ein Haarwasser namens „Ewisin“ per Versand angeboten, beides nicht sehr erfolgreich. Dass sie dann mit der Aufklärungsbroschüre namens „Schrift X“ ihr erstes gutes Geld verdienen konnte, war ein glücklicher Zufall. Rein altruistisch wird es nicht gewesen sein, denn es gab damals auch Beschwerden über „Wucherpreise“, die sie für die "Schrift X" verlangt habe. Nichts desto trotz hat sie vielen Frauen geholfen. Und so blieb das viele Jahre lang: Ihre Kataloge für „Ehehygiene“ dienten natürlich dem Verkauf von Waren, gleichzeitig hat sie dabei eine sehr persönliche Ansprache gewählt und hatte ein offenes Ohr für die Sorgen und Wünsche ihrer Kund*innen. Das Wiederum hob sie zwischen den vielen Konkurrenten hervor, die es damals durchaus gab. Man kann also nur schwer trennen: Sie hat mit daran gewirkt, dass die Nation sexuell befreit wurde und dennoch ging es von Anfang an darum, Geld zu verdienen.
Erotik-Couch: Und – das interessiert insgeheim bestimmt auch alle: wie war es bei ihr privat „im Bett“? War sie so lustvoll und experimentierfreudig wie ihre Kunden und Kundinnen, oder hat sie den „Spaß am Sex“ nur verkauft statt gelebt?
Katrin Rönicke: Das Interesse ist verständlich, aber ihr Privatleben hat Beate ihr Leben lang gut vor der Presse abzuschirmen gewusst. Details über sexuelle Vorlieben oder Experimente gab es nie, außer in einem kleinen Vorwort, das Ulrich Pramann, der Ghostwriter der beiden Autobiografien, geschrieben hat. Darin behauptet er, in einem Gespräch hätte Beate zugegeben, dass sie selbst nicht sonderlich viel Sexspielzeug besitze. Dennoch war sie bestimmt recht offen und freizügig, sie machte mit der ganzen Familie stets Urlaub an FKK-Stränden, davon zeugen auch diverse Postkarten im Archiv des FZH im Hamburg. Verklemmt war sie also schon einmal nicht - aber das konnte man sich ja eh denken.
Erotik-Couch: Orgasmostopsalbe für Männer, Igel-Kondome, Verhütungstipps, was in den ersten Bestellkatalogen so angeboten und beschrieben wurde klingt für uns heute eher niedlich als verrucht. Trotzdem stand Beate Rotermund immer wieder vor Gericht, wegen Unzucht. Wieso?
Katrin Rönicke: Das lag daran, dass nach dem Krieg die Gesetzeslage so etwas wie „Unzucht“ kannte und diese war verboten. Genauso die Aufstachelung zu solcher Unzucht. Dabei war gar nicht so klar, was das eigentlich sein soll: Unzucht. Ein sehr amorpher Begriff, der sexuell das „Normale“ vom „Unnormalen“ zu trennen versuchte und letzteres sollte es eben nicht geben. Aber was genau war gemeint? Manche deuteten den Begriff so, dass unzüchtig alles ist, was nicht in einer gesunden Ehe zwischen Mann und Frau stattfindet. Also außerehelicher oder gleichgeschlechtlicher Sex - und damit eben auch alles, was diesen außerehelichen Sex anbahnen oder begünstigen konnte. Die teilweise sehr prüden Staatsanwälte und auch der sogenannte Volkswartbund, eine kirchliche Vereinigung zur Wahrung der Sitten, sahen schon in genoppten Kondomen oder Verhütungstipps ein Problem, denn sie glaubten wohl, dass in einer „normalen Ehe“ so etwas nicht gebraucht würde.
Erotik-Couch: Aber irgendwann war ja die Unzucht abgeschafft, die Sexualität frei und alles möglich. Danach hat Beate Rotermund aber nicht aufgehört, sondern quasi von der Aufklärungswelle auf die Pornowelle gewechselt, kann man das so sagen? Weil sich jetzt eben damit Geld verdienen ließ ….
Katrin Rönicke: Beates beste Zeit war vermutlich die, in der es noch um was ging, als es noch Tabus gab und man sich als Erotikversandfirma tatsächlich aus zwei guten Gründen für eine Liberalisierung der Sexualmoral ansetzte. Lange kämpften dabei auch die Erotikversände und Sexualwissenschaftler Seit an Seit. Man hatte eben das gleiche Ziel, war eine Interessensgemeinschaft. Nach der 68er-Studentenbewegung und der Legalisierung der Pornografie gab es zum einen kaum noch Tabus, zum anderen waren die ursprünglichen Waren des Beate Uhse Versandes inzwischen auch am Kiosk oder in Drogerien zu haben. Es war also auch notwendig, nach einer neuen Möglichkeit des Geldverdienens zu schauen. Das waren Pornos - die waren neu und so, das kann man in der Tat so sagen, ritt Beate Uhse sehr geschickt die Pornowelle. Die Jahreszahlen aus dieser Zeit zeigen, dass das Geschäft wirklich sehr gut lief.
Erotik-Couch: Was meinen Sie, was würde sie heute tun? Mit Youporn, Onlinedating und der BDSM-Welle nach „Fifty Shades of Grey“ hat sich Sex und das Buisness drumherum ja noch mal deutlich verändert.
Katrin Rönicke: Die Erotikbranche wird von einigen großen Playern bestimmt und Beate Uhse als Firma hat es nicht mehr geschafft, daneben zu bestehen. Es sieht auch momentan nicht so aus, als käme die Firma noch einmal auf die Beine. Aber schon davor hatte sie nur noch wenig in der Firma zu sagen, es war vor allem Ulrich, der bestimmte, wo es lang ging. Insofern stellt sich die Frage nicht so ganz. Sie hatte ihre 50 Jahre im Geschäft, da hat einfach vieles genau gepasst: Die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Krieg und in der Sexuellen Revolution, die Wende - Beate hat es immer ganz gut verstanden, mitzuhalten. Ob sie das mit dem Internet noch geschafft hätte? - Vielleicht, wenn man bedenkt, dass die Domain "Sex.de" ihrer Firma gehörte.
Erotik-Couch: Beate Rotermund ist bereits einige Jahre tot, für Ihre Arbeit an dem Buch konnten Sie also nicht mit ihr sprechen und waren auf Quellen angewiesen und noch lebende Wegbegleiter, Familienangehörige. Was hätten Sie Beate denn gefragt, auch off the records, wenn es möglich gewesen wäre?
Katrin Rönicke: Es wird immer wieder über sie berichtet - von Mitarbeitern und von Verwandten - dass sie Frauen nicht so leiden konnte. Das hätte ich gerne abgeklopft, warum? Wieso? Und auch zu ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg hätte ich einige Fragen gehabt. Sie hat diese Rolle immer runtergespielt. Ganz glaubwürdig fand ich das nicht.
Das Interview führte Sigrid Tinz im September 2019.
Foto © Fiona Krakenbürger
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